Kulturpsychoanalyse in der DPV

Schon in der Frühzeit der Psychoanalyse wurde ein kulturwissenschaftlicher Diskurs fester Bestandteil psychoanalytischen Denkens und Arbeitens. Sigmund Freud weist darauf hin, wenn er schreibt: „Wir halten es nämlich gar nicht für wünschenswert, daß die Psychoanalyse von der Medizin verschluckt werde und dann ihre endgültige Ablagerung im Lehrbuch der Psychiatrie finde [...] Als ‚Tiefenpsychologie‘, Lehre vom seelischen Unbewußten, kann sie all den Wissenschaften unentbehrlich werden, die sich mit der Entstehungsgeschichte der menschlichen Kultur und ihrer großen Institutionen wie Kunst, Religion und Gesellschaftsordnung beschäftigen. Ich meine, sie hat diesen Wissenschaften bis jetzt ansehnliche Hilfe zur Lösung ihrer Probleme geleistet, aber dies sind nur kleine Beiträge im Vergleich zu dem, was sich erreichen ließe, wenn Kulturhistoriker, Religionspsychologen, Sprachforscher usw. sich dazu verstehen werden, das ihnen zur Verfügung gestellte Forschungsmittel selbst zu handhaben“ (Freud, 1926, GW XIV, S. 283). 

Die DPV hat einem solch kulturpsychoanalytischen Blickwinkel von Beginn an Rechnung getragen. Das Anliegen war und ist, die Verbindungen zwischen klinischer und nicht-klinischer Psychoanalyse aufzuzeigen und diese Diskurse im Sinne einer kulturpsychoanalytischen Reflexion – im Austausch mit unseren Nachbarwissenschaften –  zu tradieren und zu bewahren. Es finden sich vielfältige Auseinandersetzungen zu gesellschaftspolitischen, sozialen, religiösen, kulturellen Fragen schon in den 1960er und 70er Jahren, nicht zuletzt im Rahmen von Arbeiten zur damaligen ordentlichen Mitgliedschaft. Diese Diskurse werden nach der Abschaffung der o.M. 2008 und einer programmatischen Neuorientierung bis heute auf den DPV-Tagungen, insbesondere im Forum für Kulturpsychoanalyse, aufgegriffen und fortgeführt. In bisher mehr als sieben Foren konnten von 2010 bis 2016 mehr als 36 Arbeiten vorgestellt und diskutiert werden (vgl. Kulturpsychoanalyse heute. Grundlagen, aktuelle Beiträge, Perspektiven. Psychosozial-Verlag 2017, herausgegeben von K. Nitzschmann, J. Döser, G. Schneider, C. E. Walker).

Ferner wurde seit 2010 durch einen jährlich stattfindenden DPV-Kulturworkshop ein Rahmen geschaffen, um im Dialog mit Vertretern der Kulturwissenschaften der Psychoanalyse in diesen Feldern expliziter Gehör zu verschaffen. Ein Anliegen dieses Arbeitskreises war und ist es, die Stimme der Psychoanalyse, die im soziokulturellen Diskurs und in der Öffentlichkeit zwar nicht verstummt, aber doch deutlich weniger vernehmbar als früher ist, wieder bemerkbarer werden zu lassen. Im Rahmen dieser Workshops findet zunächst am Vorabend ein „Öffentlicher Vortrag“ statt. Der folgende Tag ist Diskussionen in einer internen Arbeitsgruppe gewidmet, zu der WissenschaftlerInnen und Kulturschaffende aus den Bereichen Kultur-, Medien- und Literaturwissenschaften, Soziologie, Malerei, Musik, Literatur eingeladen sind. Ziel ist es, unter dem Rahmenthema Archaik und Moderne soziokulturell aktuelle Fragestellungen, verbunden mit entsprechenden klinischen Fällen im Sinne der kulturpsychoanalytischen Perspektive vertiefend zu diskutieren.

Es ist erfreulich, dass durch die Weiterentwicklung der DPV-Webseite die dabei vorgetragenen nicht-klinischen Arbeiten nun allen Mitgliedern und Interessierten zugänglich gemacht werden können. Wir verstehen dies als einen weiteren Baustein in dem Bemühen, die kulturpsychoanalytische Perspektive innerhalb der DPV und darüber hinaus zu etablieren und weiterführend zu diskutieren.

Christoph E. Walker und Gerhard Schneider, Joachim Küchenhoff, Gebhard Allert (für den Arbeitskreis) im Juli 2018