Liebe KollegInnen und Kollegen, Gäste und Spaziergänger,
es ist ein kleiner bedeutender historischer Moment, dass wir hier zusammen vor dem ehemaligen Haus von Therese Benedek in der Emilienstrasse 2 in der Universitätsstadt Leipzig stehen und der Enthüllung der für sie neu angefertigten und angebrachten Gedenktafel beiwohnen.
Ich freue mich sehr darüber.
Die Gedenktafel für die ungarische und jüdische Psychoanalytikerin Therese Benedek reiht sich damit in eine Folge weiterer Gedenktafeln für Psychoanalytiker im Umkreis Sigmund Freuds, die von den Nazis gezwungen wurden, Deutschland zu verlassen, ein. Diese befinden sich v.a. in Berlin und wurden 2004 von der Psychoanalytikerin Regine Lockot ins Leben gerufen. Inzwischen erinnern 23 Gedenktafeln der Themenreihe »Mit Freud in Berlin« anPersönlichkeiten, die die Psychoanalyse geprägt und gestaltet haben, wie u.a. Karl Abraham, Franz Alexander, Siegfried Bernfeld, Otto Fenichel, Edith Jacobssohn, und auch an eine Schwester Sigmund Freuds: Marie „Mitzi“ Freud.
Die heutige Gedenktafel fügt dieser Reihe die 24. hinzu.
Die Erinnerungstafeln ermöglichen, dieser Kolleginnen und Kollegen zu gedenken und gemeinsam um ihren Verlust zu trauern, ebenso, wie sich mit der Schuld an denen, die Deutschland fluchtartig verlassen mussten, auseinander zu setzen. Regine Lockott schreibt (PSYCHE 2021): „Gerade unter den ökonomisch komfortablen Bedingungen, unter denen wir in Deutschland leben, geht, trotz der hier gepflegten Erinnerungskultur das Gefühl für die zerstörerische Wucht von maligner gesellschaftlicher Regression und Antisemitismus leicht verloren. Von daher erscheint es so wichtig, die Geschichte zurück ins Gedächtnis zu holen.“
Es ist gut, dass wir - 5 deutschsprachige psychoanalytische Gesellschaften aus Österreich, der Schweiz und Deutschland gemeinsam mit dem „Sächsischen Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Therese-Benedek aus Leipzig“ - heute hier gemeinsam Therese Benedek gedenken. Wir hoffen, dass dies auch viele weitere Leipziger Spaziergänger und Besucher in den kommenden Jahren tun werden. Ich möchte mich an dieser Stelleauch sehr herzlich bei dem heutigen Hausbesitzer bedanken, der das Projekt der Anbringung einer Gedenktafel von Anfang an unterstützte und ohne Zögern hierzu seine Genehmigung gab.
In dem Haus, das genau hier ehemals stand und das im 2. Weltkrieg zerstört wurde, hat Therese Benedek mit ihrem Mann und ihrem Sohnvon 1925 – 1927 gewohnt und praktiziert. Therese Benedek, geborene Friedmann, wurde 1892 als mittlere von drei Töchtern eines jüdischen Geschäftsmanns in Ungarn, Eger, geboren. Sie war eine tatkräftige, umstandslose, klare und wache Frau. Nahtlos verband sie Optimismus und Pragmatismus. Beides benötigte sie dringend: Zunächst 1920 auf ihrer Flucht zusammen mit ihrem MannTibor aus Ungarn nach Leipzig bei Ausbruch des Krieges zwischen Ungarn, Rumänien und der Tschechoslowakei. Und 1936 bei ihrer zweiten Flucht zusammenmit Mann und ihren zwei Kindern vor der Bedrohung durch das Nazi-Regime, die zu ihrer Emigration in die USA führte. 1921 öffnete sie ihre psychoanalytische Praxis in Leipzig. Engagement und Leidenschaft für die damals noch sehr junge Psychoanalyse, soziale Verantwortung und Mitgefühl führten dazu, dass Therese Benedek die damalige Leipziger psychoanalytische Gruppe leitete. Es war die erste, die sich außerhalb Berlins in Deutschland entwickelte. Die Wirkung der psychoanalytischen Gruppe strahlte auch stark in die Öffentlichkeit Leipzigs aus, besonders in die Leipziger Lehrerschaft. Benedek verhalf der Gruppe zur Anerkennung durch die internationale psychoanalytische Vereinigung.
Auch nach ihrer Emigration hielt Benedek unverbrüchlich mit eigenen Schriften an einer guten Zukunft und weiteren Entwicklungen für die Psychoanalyse fest.
Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag beschäftigte sich in ihren Texten viel mit Fotografie und deren möglicher Wirkung auf das Bewusstsein des Betrachters. Sie teilt in dem Kapitel „In Platos Höhle“ aus ihrem Buch „Über Fotografie“ (2005) einen Gedanken mit, in welchem sie darlegt, dass Fotografien ein Mittel seien, das den Menschen helfe „einen Raum in Besitz zu nehmen, in dem sie sich unsicher fühlen“ . Auch die Gedenktafel soll ein Ort sein, an dem die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit festgehalten wird.
Der Ägyptologe Jan Asssmann betont, dass Erinnerungskultur gemeinschaftsstiftend wirke. Hier finde sich der Umgang des Einzelnen und der Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit und ihrer Geschichte wieder. Die Wirkung erfahre dann eine besondere Betonung, wenn sich geschichtliche Ereignisse charakteristisch von denen der Gegenwart unterscheiden.
Ich freue mich mit Ihnen und der Stadt Leipzig, dass diese Gedenktafel nun ein gemeinschaftsstiftender Ort in Leipzig ist, an dem die Erinnerung an Therese Benedek und ihr Wirken ausgestellt und aufbewahrt wird.
Lisa Werthmann-Resch