Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wahrscheinlich haben Sie die traurige Nachricht schon gehört, dass Horst Kächele am Sonntagmorgen nach langer, schwerer Krankheit gestorben ist.- Wir verlieren in ihm einer der Pioniere der Forschung in der Psychoanalyse und einen streitbaren, aber stets unterstützenden, leidenschaftlichen Kollegen und warmherzigen Freund.
Schon in den 1970iger Jahren hat er die Ulmer Werkstatt für empirische Forschung gegründet, die eine große nationale und internationale Ausstrahlung hatte und unzählige Forschungsprojekte bekannt gemacht, vernetzt oder auf den Weg gebracht hat. Viele zentrale Kontroversen des Spannungsfeldes, in dem Forschung in der Psychoanalyse seit ihnen Anfängen steht, wurden in diesem Rahmen ausgetragen und zeigten die Vision von Horst, die Psychoanalyse möge sich als wissenschaftliche Disziplin auch im akademischen Umfeld, an den Universitäten und den psychiatrischen Kliniken, in der evidenzbasierten Medizin— aber in Kunst und Literatur kritisch zur Diskussion stellen und dadurch ihren Platz in der Welt der Wissenschaft behaupten. Diese Vision hat ihm nicht nur Freunde in der DPV eingebracht. Daher hat er sich sehr gefreut, dass der DPV Vorstand ihm im letzten Herbst einen persönlichen Brief geschrieben und dadurch seine Wertschätzung ihm gegenüber ausgedrückt hat.
In den 1980iger Jahren hat Horst den Sonderforschungsbereich 129 „Psychotherapeutische Prozesse“ geleitet, eine große Anerkennung durch die DFG. Er war Vorsitzender der Society for Psychotherapy Research und hat durch diese Aktivitäten eine Vielzahl von Doktoranden und Habilitanden gefördert. Viele (auch ich, MLB) verdanken ihm ihre akademischen Karrieren.
Auf seiner persönlichen Website bietet er einen Einblick in seine beeindruckenden Forschungsaktivitäten. Viele seiner Arbeiten können dort nicht nur eingesehen, sondern auch heruntergeladen werden. Das Lehrbuch für psychoanalytische Therapie, das er zusammen mit Helmut Thomä, geschrieben hat, ist in viele Sprachen übersetzt worden und kann als ein Klassiker in der psychoanalytischen Lehre bezeichnet werden. Die beiden Autoren wurden für diese Leistung mit dem Sigourney Award, dem Nobelpreis der Psychoanalyse, geehrt.— Horst hat bis in seine letzten Wochen an der Neuauflage des 2. Bandes gearbeitet, der im Herbst beim Psychosozial Verlag erscheinen wird.
Horst hat sein Wissen buchstäblich in die ganze Welt getragen und in großzügiger Weise junge Wissenschaftler gefördert, vielen von ihnen eine Promotion oder eine psychoanalytische Ausbildung in Deutschland ermöglicht. Er war ein Meister im internationalen Networking. Als Staff des Research Trainings Programs (RTP) der International Psychoanalytical Association hat er wesentlich dazu beigetragen, den wissenschaftlichen Nachwuch der Psychoanalyse auch international zu fördern. Besonders bei den Kolleginnen und Kollegen in Südamerika wird er fast wie ein Heiliger der psychoanalytischen Forschung verehrt. Mit vielen von ihnen blieb er in intensivem Austausch— so auch über die Mail Liste der Fellows des RTP. Und dies bis in die letzten Monate seines Lebens: Noch im Mai 2019 lehrte er in China—schon deutlich von seiner Krankheit gezeichnet.
Uns erinnerte er oft an eine Kerze, die an beiden Enden brennt. So ist er nun schon im Alter von 76 Jahren von uns gegangen und hinterläßt eine große Lücke.— Gerade in der FHK werden wir seine Fackel weitertragen, voll Dankbarkeit und Erinnerung an einen Marathonläufer der empirischen Forschung der Psychoanalyse und einen mutigen, streitbar- temperamentvollen aber auch sehr warmherzigen Kollegen und Freund.
Mit traurigen Grüßen
Marianne Leuzinger-Bohleber und Tamara Fischmann